TAG 13

Herbon - Santiago

Punkt sechs Uhr wurde ich mit "Hallelujah" von Cohen aus Lautsprechern im Gang des Klosters geweckt - wie überaus passend. Ich hatte so dermaßen gut geschlafen in meiner kleinen Zelle. Grinsend empfingen mich die beiden Deutschen in der Küche und drückten mir gleich ein Messer in die Hand, das Obst für's Frühstück musste noch geschnitten werden. Zusammen bereiteten wir das Frühstück für alle und gingen dann zur Messe in die wirklich eisekalte Kapelle. Danach ist jeder wach...bei der Kälte fröstelt man sich die Müdigkeit weg.

Keine Stunde später saßen wir alle wieder an der langen Tafel beim Frühstück zusammen. Jeder bekam einen wirklich großen Topf mit eine Art Bircher Müsli vorgesetzt. Pepe hatte zudem noch ein kleines Armband für mich, das produzierten die Mönche hier und verkauften es normalerweise an die Pilger. Geld wollte er partout keines dafür von mir, also würde ich gleich bei der Abreise einfach noch was in die Spendenkasse stopfen. Generell war hier alles, also Schlafen und auch das Essen, auf Spendenbasis. Die Mönche verabschiedeten sich von mir und machten sich auf zu was auch immer Mönche so machen mussten tagsüber. Ich half noch beim Abwasch und packte danach meine Sachen. Heute sollte es für mich nach Santiago gehen. Um kurz nach acht Uhr lief ich durch's große Tor des Klosters in Richtung Padron. Das Wetter war wieder 1a, die Sonne strahlte vom blauen Himmel und jetzt in der Früh wehte ein noch schön frisches Lüftchen. Der Weg dagegen war eher das genaue Gegenteil: es ging auf Teer von einer kleinen Ortschaft zur nächsten. Meine erste Pause legte ich in einem Cafe an der Kirche Santuario da Escravitude ein - die Glocken der Kirche bimmelte irgendwie gefühlt jede Minute. Und da beschweren sich bei uns im Allgäu manche Leut über das Glockenläuten jede Stunde!

Entlang kleiner und großer Straßen marschierte ich gen Santiago de Compostela. Der Weg war echt grausig und die Füße jaulten ganz fürchterlich. Eigentlich sollten die ja den vielen Teer und das Kopfsteinpflaster mittlerweile gewohnt sein, aber auch nur eigentlich. So richtig ätzend war die kilometerlange Vorstadt. Das letzte Stück bis zur mittelalterlichen Innenstadt und der Kathedrale war echt ein Kampf - mit lauter Mucke im Ohr quälte ich mich durch wirklich hässliche Häuserschluchten. Irgendwann hatte ich es dann endlich geschafft und ich stand auf dem großen Vorplatz der Kathedrale. Völlig geschafft setzte ich mich erstmal in den Schatten und schaute dem Treiben auf dem Platz zu. Es war ein stetes Gewusel: Menschen mit großen Rucksäcken kamen aus den verschiedensten Ecken auf den Platz gelaufen, hüpften zum Teil freudig herum, fielen anderen um den Hals oder setzten sich einfach mitten auf den Platz und starrten den riesigen Steinkoloss von Kathedrale an. Ich hatte viel darüber gelesen, wie das hier tagtäglich zugeht, aber jetzt erst konnte ich es so richtig glauben. Die eintrudelnden Pilger, waren ja meist gut zu erkennen, wurden gleich von Einheimischen abgefangen und mit Werbung für die umliegenden Herbergen vollgetextet. Ich hatte auch schon eine ganze Hand voll Visitenkärtchen "eingesammelt". Für mich absolut kein Vergleich zum Ankommen am Nidarosdom in Norwegen. Das hier war dagegen reinster Kommerz und hatte im Moment für mich zumindest nichts der viel beschriebenen Magie des Ankommens. Vielleicht bin ich auch einfach zu wenig Pilger...

Nach gut einer Stunde "Im-Schatten-sitzen", suchte ich mir ein kleines Cafe in einer der Seitenstraßen vom großen Platz vor der Kathedrale und genehmigte mir gemütlich eine kalte Cola. Ich suchte mir mit Hilfe meines kleinen gelben Büchleins eine Herberge etwa einen halben Kilometer entfernt, telefonierte kurz und machte mich nach der Zusage dorthin auf. Ich hatte auf dem Weg noch das Vergnügen fast zwanzig dieser Kärtchen einsammeln zu können...die Druckereien hatten hier wohl ein ordentliches Geschäft mit der Produktion dieser Visitenkarten!

In meiner kleinen Herberge angekommen, bekam ich ein Bett in einem der Mehrbettzimmer für Mädels (wird hier nach Geschlecht getrennt) zugeteilt. Ich packte erstmal den Rucksack aus zum Durchlüften, danach duschte ich schön lang und fläzte mich für etwas Siesta in dem herrlich kühlen Zimmer auf's Bett. Einige Zeit später startete ich in Richtung  Kathedrale und zur Pilgermesse. Die wollte ich unbedingt besuchen. Auf dem Weg dorthin machte ich einen Schlenker zum Pilgerbüro. Davor standen wirklich sehr viele Pilger in einer langen Schlange, alle wollten die Compostela abholen. Ich spingste nach drinnen und es sah aus wie beim Arbeitsamt. Über dem Eingang zu einem großen Raum hing eine elektronische Anzeigetafel, auf der der nächste freigewordenen Schalterplatz angezeigt wurde. Wenn die Zahl dann aufblinkte, konnte der Nächste in der Reihe in den Raum rein zum jeweiligen Schalter gehen. Absoluter Wahnsinn. Die Erzählungen davon hatte ich für völlig übertrieben gehalten - jetzt nicht mehr! Erinnerte mich alles stark an die Touri-Schlangen vor dem Ticketcenter in Hohenschwangau.

Nachdem ich mir das Angesehen hatte, schlenderte ich zur Kathedrale. Nicht um viel würde ich mich dort einreihen, um mir mit einem Blatt Papier die Wanderung nach Santiago "bescheinigen" zu lassen. Die Messe würde bald beginnen. Von innen war die Kathedrale noch gewaltiger, als von außen. Ein tolles Bauwerk. Für die Messe wurde -laut meines kleinen Büchleins- der Dom für Besichtigungs-Besucher geschlossen und das Ganze eigentlich für die Pilger abgehalten. Aber das konnte nicht wirklich stimmen. Es waren zwar sehr viele Pilger anwesend, die konnte man auch in geduscht und ohne Rucksack irgendwie erkennen ;-), aber auch sehr viele normale Besucher. Ein regelrechtes Gedränge mit Ellbogeneinsatz und Geschubse setzte in den vorderen Reihen ein. Jeder war sich halt dann doch der Nächste... Abartig, und all das nur um noch besser sehen zu können. Dann beendeten die Aufseher endlich das Geschehen und sperrten die Gänge in der Mitte mit Absperrband ab. Danach wurde über Lautsprecher durchgesagt, was man alles nicht machen durfte während der Messe. Irgendwie hatte ich ständig die Pilgermesse in Trondheim vor Augen - was ein Unterschied!

Die Messe an sich wurde von einem Priester begonnen, auf Spanisch natürlich. Dann kam die bekannte und auch berühmte Nonne mit ihrem Gesang und vier Priester zogen diesen wirklich großen Weihrauch-Kessel langsam nach oben und brachten das Ding zum Pendeln. Und trotz des dreimalig durchgesagten Filmverbotes hielten fast alle die Handys in die Luft filmten das Spektakel. Begleitet von dem Gesang der Nonne rauschte dieser Kessel über die Köpfe von einem Teil des Kirchenschiffes zum anderen. Nach gut fünf Minuten war alles wieder vorbei und das Weihrauch-Pendel, Botafumeiro genannt, hing noch ein bisschen qualmend in der Mitte der Kathedrale, die Nonne hörte auf mit dem Gesang und der Priester machte mit der Messe weiter. Zu meinem ehrlichen Entsetzen verließen die Menschen direkt nachdem das Pendel wieder angehalten hatte und während der Priester noch redete die Reihen und zum Schluss hockten noch etwa 50 Leute da und lauschten der Messe zuende. Echt traurig...

Zusammen mit meinem Banknachbarn verließ ich ziemlich geplättet als eine der letzten die Kathedrale. Das hatte ich wirklich nicht als den von vielen als "krönend" bezeichneten Abschluss erwartet. Aber vielleicht war ich auch einfach nicht gläubig und Pilger genug, um über all das Drumherum hinwegsehen zu können. Meinem Banknachbarn, einem älteren Schweden, erging es ähnlich. Wir liefen ratschend durch die kleinen Gässchen und suchten uns was für's Abendessen. Er wollte morgen, genauso wie ich, weiter in Richtung Meer laufen. Zur Abwechslung gab es kein Pilgermenü, sondern eine echt leckere Pizza. Das Gespräch mit Björn, ein Lehrer im Ruhestand aus der Nähe von Karlstad, war richtig toll. Er zeigte mir Bilder und erzählte mir von seinem kleinen Haus am Vänern, dem größten See Schwedens. Die viele Zeit, die er jetzt als Rentner hatte, verbrachte er einmal im Jahr für mehrere Wochen auf irgendwelchen Wanderwegen in Europa. Auch er war den Olavsweg schon gegangen, allerdings die Strecke von Selanger aus und wollte im nächsten Jahr den Traumpfad München - Venedig laufen. Und so hatten wir lange ein Gesprächsthema.

Kurz vor Mitternacht brachen wir dann in unsere Herbergen auf. Das Essen und das Gespräch mit Björn war mein krönender Abschluss für den Tag heute.