Der Tag 11 ist ein Paradebeispiel von "es kommt immer anders, als man denkt" - das aber nur so vorne weg. Die Nacht hatte ich -dank stetig anhaltenden Bröselgeräuschen- vor dem Zelt verbracht...da wär ich bei einem Steinschlag schneller weggekommen. Ich hatte auch nicht wirklich gut geschlafen, ging irgendwie nicht richtig, war immer mit einem Ohr beim Gebrösel. Zum Sonnenaufgang packte ich zusammen und frühstückte gemütlich am noch total leeren Strand. Selbst die Zelte neben mir wurden gestern am späten Nachmittag abgebaut und die Leute machten sich auf in Richtung Loutro.
Geplant war heute nach Sfakia zu laufen, dann weiter nach Frangokastello und ab da dann noch so weit die Füße Lust hätten. Die Tour bis Sfakia ging noch laut Karte an der Steilküste entlang und ab dort dann über normale Straßen weiter. Das erste Stück nach der Bröselbucht -ich hatte die für mich umgetauft- musste ich mich über relativ frische Steinschlaghaufen kämpfen, loses sehr scharfkantiges Geröll verlangte volle Aufmerksamkeit. Dort war einiges runtergekommen und große Teile des Weges verschüttet worden. Nachdem das Gekraxel vorbei war, ging der Weg wieder schön an der Steilküste entlang. Hier hatten die Wegbauer sogar die umherliegenden Steinplatten als Wegpflasterung genutzt, war also gut zu laufen. Den Wegverlauf konnte ich bisher meistens gut vorhersehen, wenn ich mir die Küstenlinie vor mir angeschaut hatte. Jetzt stand ich vor der nächsten Bucht und fragte mich, wo zum Geier der Weg verlief - nur noch steile hohe Felsen, die direkt ins Meer abfielen. Kein Strand, keine kleine Ebene, gar nix. Ich umkurvte den nächsten größeren Felsen und sah dann plötzlich, wo's lang ging. Vor mir schlängelte sich der mit Steinplatten hergerichtete Weg hoch zum Fuß der steilen Felswand und dort konnte ich eine Treppe oder zumindest den Ansatz davon erkennen. Mit einem dicken Kloß im Hals machte ich mich daran alle Sachen am Rucksack fest zu verschnüren und möglichst zu komprimieren und wackelte dann in Richtung Fels. In den Fels war zuerst eine schmale Treppe und danach ein kleiner halbrunde Aushölung der Wand eingehauen worden. Im Prinzip okay, wenn die Größe gepasst hätte und vielleicht sowas wie ein Seil da gewesen wäre. Auf Kreta (wahrscheinlich überall in Griechenland) heißen diese Wege, die nur zu Fuß gemacht werden können, Monopati und genau das ist es auch...Monopati = also ein Fuß passt drauf, von dem anderen daneben ist keine Rede und von dicken Rücksäcken mit Mensch schon gleich dreimal nicht! Und wir reden hier von der Schuhgröße eines durchschnittlichen normalgroßen Griechen....! Oh man, ich kann euch sagen...ich hab ja sowas von geflucht. Spaß gemacht hat das nicht mehr.
Als ich endlich den Teil hinter mich gebracht hatte, machte ich erstmal eine Pause auf einem dicken Stein oberhalb der steilen Küstenfelsen. In dem Moment kam eine Truppe Wanderer, die zur Bucht wollten. Fröhlich quatschend und grüßend liefen die an mir vorbei um die nächste Ecke rum. Dann war's kurzzeitig wieder ruhig und nach etwa einer viertel Stunde kam der erste wieder zurück. Käsebleich und nicht mehr fröhlich quatschend. Es folgten einer nach dem anderen der Gruppe, alle der gesunden Gesichtsfarbe beraubt und etwas kurzatmig. Einer der Wanderer fragte mich im gebrochenem Englisch, ob ich da mit meinem Rucksack durch gekommen wäre. Ich nickte nur und er ging Kopf schüttelnd wieder zu seinen Leuten. War irgendwie beruhigend zu sehen, dass andere sich auch so anstellten - nicht nur ich bin so ein Schisser!
Ich verlängerte meine Pause noch um einige Minuten, um die Truppe weiter weg zu wissen und machte mich dann in Richtung Sfakia auf. Nach etwas über einem Kilometer weiter stand ich direkt vor einer großen Leitplanke und einer Teerstraße dahinter. Juhu, die Pass-Straßen hatten mich wieder - ächz... das war's wohl vorerst wieder mit den schmalen Pfaden, nun ging es in stetigen Kurven über fein duftenden Asphalt nach Sfakia. Vor mich hin stapfend überholte ich die Wandergruppe von vorhin, passierte eine größere Müllhalde an einer Spitzkehre der Straße, einer weiteren in einem kleinem Flusstal, das unter der Straße durchging, eine alten Hotelruine in einer eigentlich tollen Bucht und zwei ausgebrannte Autowracks am Straßenrand. In Gedanken rechnete ich hin und her, was denn wäre, wenn ich hier einfach weg von der Küste ab in die Berge laufen würde. Kurz nach dem zweiten Wrack sah ich Sfakia und den Hafen vor mir liegen, der Wind wehte genau in dem Moment eine Brise vom Meer über die Leitplanke zu mir und ich musste husten- so wollte ich nicht weiter wandern. Ich hatte irgendwie einfach eine viiiiel zu empfindliche Nase, war zu sehr weicheierig...was auch immer, war auch egal - ich hatte wortwörtlich die Nase voll. Bei einem kurzen Blick zurück sah ich in der Entfernung die Fähre auf Sfakia zusteuern. Da stand mein Entschluss fest. Wenn ich die Fähre erwischen würde, dann würde ich zurück nach Agia Romeli fahren, dort eine Nacht auf dem niedlichen Wildcampingplatz übernachten und danach durch die Samariaschlucht hoch in die Lefka Ori wandern. Gedacht, getan - ab zum Hafen. Zusammen mit der Fähre bin ich dort eingelaufen. Schwubs war die Karte gekauft und schon saß ich oben an Deck. Die ein oder andere rostige Stelle an Deck versuchte ich zu ignorieren (die Bilder vom Rumpf, wie ich ihn im Hafen von Loutro gesehen hatte, schob ich ebenfalls bei Seite) und schaute mir auf der Fahrt nach Agia Romeli vom Meer aus meine zurückgelegte Wanderstrecke an. Der Teil nach der Süßwasserbucht war auch aus der Entfernung haarsträubend anzuschauen.
Die Fahrt war richtig schön und ich freute mich regelrecht auf meinen Zeltplatz für die kommende Nacht. Beim Schlendern in Agia Romeli die Tage zuvor, hatte ich den Platz entdeckt. Sogar eine Dusche und ein richtiges Klohäuschen stand dort in einem kleinen Pinienwald direkt am Strand. Der Strand hatte im Gegensatz zum anderen beim Ort recht große runde Steine und war dadurch gar nicht besucht und perfekt zum Campen geeignet. Die Fähre erreichte das kleine Dörfchen kurz vor fünf Uhr, die Schluchtenwanderer standen schon auf dem Anleger und stauten sich bis ins Dorf rein - alles so, wie beim letzten Mal :-) es dauerte eine Weile, bis ich mich durch die vielen Menschen gekämpft hatte und endlich auf dem kleinen Trampelpfad Richtung Zeltplatz laufen konnte. Die Platzwahl war echt nicht einfach, es waren so viele schöne Plätze frei, dass ich mich schwer tat für einen zu entscheiden. Nachdem das endlich getan war, baute ich ruckzuck das Zelt auf und machte mir erstmal was zu essen und genoss das Meer, den Schatten und die frische Luft. Die Sonne ging schnell unter und somit war der Tag für mich auch zu ende. Total fertig von der letzten weitestgehend schlaflosen Nacht und den Ereignissen des Tages schlief ich um acht Uhr schon tief und fest.
Wenn mich jemand fragt, warum ich jede freie Minute und Urlaube meinen Rucksack packe und alleine losziehe - keine Ahnung, ich kann's ehrlich nicht erklären, warum ich das mache. Nur eins kann ich mit Gewissheit sagen: es macht definitiv süchtig!
Allein unterwegs zu sein - jeden Tag wo anders zu sein - nicht zu wissen, wo man am Ende des Tages landet - die Natur zu genießen - all das sind so die typischen Antworten, die man dann auf solche Fragen gibt.
Goethe beschreibt es meiner Meinung nach ziemlich gut und bringt es mit einem einfachen Satz auf den Punkt: "Nur wo du zu Fuß warst, warst du wirklich!"
Noch so Wandersüchtige: www.wanderbursche.net / www.soultrails.de / darwinonthetrail.com
Und hier, einfach nur toll: www.illpushyou.com