Geschlafen hatte ich wie ein Stein, richtig gut und tief und fest. Meinen Mitbewohnerinnen erging es scheinbar nicht so. Die meckerten morgens fürchterlich über den Sturm in der Nacht und dass es überall reingezogen hätte. Dann sollten die sich mal eine Nacht in Jorundgard gönnen...da ist es zugig, hier dagegen schön warm. Nach einem kleinen Frühstück in Form von einem heißen Kaffee und etwas Porridge machte ich mich auf in Richtung Dovre. Das erste Stück war so asphaltlastig, wie das letzte Stück gestern. Und so ging es die paar Kilometer bis ins Dörfchen auf Teer. In Dovre war die berühmte Kirche -wie soll's auch anders sein- zu. Dann halt weiter eine Runde Geld abheben am Bankautomat und dann für die nächsten Tage ein bisschen was einkaufen.
Ein lecker knatschig süßes Croissant mampfend schlenderte ich die Straße weiter raus aus Dovre den Hügel wieder hoch in Richtung Fjell. Heute sollte es endlich ins Fjell über die Baumgrenze gehen - ich freute mich wie ein Schneekönig. Die Beine und Füße waren nach der kleinen Stärkung im Ort wieder hergestellt und taten nicht mehr weh. Irgendwann kurz nach einer schicken Herberge änderte sich der Teer in Schotter und der Weg wurde immer schmaler. Dann stand ich vor dem "Eingangstor" zum Fjell. Witzig wie die Norweger das angelegt hatten. Große Schilder wiesen kurz hinter dem Tor auf die Einsamkeit des Fjells und die Entfernung zum nächsten bewohnten Haus hin. Der Weg war kurz nach dem Tor schon klasse. Steinig und leicht bergauf ging es über einen Trampelpfad stetig höher. Irgendwann war die Baumgrenze erreicht, der Wind war schon recht stark und kalt, vertrieb aber die Wolken und es zeigte sich ein schön weiß blauer Himmel. Herrlich, so konnte es weitergehen. Außer dem Pfeifen des Windes war mal so gar nichts zu hören und weit und breit nur Flechten, Moose, Steine und zwischen drin mal ein Fetzen Schnee war zu sehen. Einfach nur toll.
Es ging immer noch leicht bergauf, allerdings empfand ich das lang nicht so anstrengend und unüberwindbar, wie es in vielen Wanderberichten beschrieben wird. Grad recht war's und es lief sich klasse. Gut, bei Schneefall oder heftigem Regen macht der Teil wohl nicht allzu viel Spaß - aber ich hatte einen Sonne-Wolken-Mix mit ordentlich viel Wind - 1 a zum Laufen. Kurz vor dem höchsten Punkt auf diese Etappe, traf ich eine Gruppe, die sich hinter einen großen Felsen kauerten und im Windschatten eine Pause machte. Ein buntgemischter Haufen Jugendlicher mit zwei Betreuern - so schien es zumindest. An einem großen Stein weiter oben machte ich ebenfalls Pause, war schon Mittag durch und ich hatte ordentlich Hunger. Ich ließ mich in die vermeintlich weichen Flechten und Moose fallen und puhlte einen der neu gekauften Äpfel aus der Seitentasche meines Rucksackes. Von hier konnte ich rings um mich rum nur Berge mit weißen Schneeflecken und sonst nix erkennen - und so genoss ich die tolle Aussicht und die Pause. Nach meinem Apfel ging es für mich weiter. Etwa einen Kilometer später kam ich an dem eigentlich höchsten Punkt an: einem Steinhaufen nach Camino-Art mit Muschelanhänger oben an der Spitze :-) dort wurde dann auch der mitgebrachte Stein meiner Tochter abgelegt und fotografisch als Beweis festgehalten. Den hatte sie mir extra aus dem Lech gesucht und mitgegeben, damit er Norwegen schöner macht. Die Gruppe, die ich vorher getroffen hatte, holte mich jetzt an dem Steinhaufen ein. Zumindest ein Teil davon. Drei Jungs hüpften an mir vorbei wie junge Gämse, über Stock und Stein, husch den Weg weiter. Ich in meinem normalen Tempo hinterher. Am nächsten kleinen Schneefleck machten die drei wieder Pause und ich hatte sie ein weiteres Mal überholt. So ging es eine ganze Weile. Dann machte ich eine kleine Pause an einem Fluss und der Rest der Truppe hatte mich ebenfalls eingeholt.
Irgendwie kam mir der Betreuer so bekannt vor. Er war definitiv Norweger, die anderen der Gruppe wohl auch. Ich grübelte gute zwei Stunden darüber, woher ich den Kerl kannte. Der Umgangston der Jungs untereinander (obwohl ich die Sprache nicht verstand) brachte mich dann drauf...das musste der Gefängnispfarrer aus Oppdal sein über den ich vor x-Jahren eine Reportage auf Arte gesehen hatte. Er war der Grund, warum der Olavsweg auf meine Like-to-Hike-Liste gekommen war. In der Reportage ging es um straffällig gewordene Jugendliche, die er über den Olavsweg "scheuchte", um sie vor dem drohenden Gefängnis zu bewahren. Das Thema an sich hatte mich interessiert und die Landschaftsaufnahmen waren der absolute Hammer gewesen. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich traute ihn einfach anzusprechen. Wär ja total blöd gekommen, wenn's nicht so gewesen wäre und ich total falsch gelägen hätte.
Bei einem der mittlerweile schon gewohnten Überholvorgänge sprach ich ihn einfach an und seine (meine aber ehrlich auch) Überraschung war riesig, dass ich richtig lag mit meiner Vermutung . Mit einem riesen Hallo wurde das von ihm fast schon gefeiert und all "seinen" Jungs brühwarm erzählt. In Norwegen selbst war die Reportage nämlich gar nicht gezeigt worden. Was ein unglaublicher Zufall. Ab da liefen wir zusammen bis kurz vor Fokstugu - gut eine Stunde unterhielten wir uns. Kjell erzählte viel von seiner Arbeit, ein total faszinierender Kerl und eine tolle Sache, die er da jedes Jahr mehrmals macht. Es geht meist von Dovre nach Oppdal ein paar Tage über's Fjell mit 3 bis 8 Jugendlichen - nicht den ganzen Olavsweg. Ab und an hängt er die letzte Etappe bis nach Trondheim noch an, wenn er merkt, dass die Gruppe das packt.
Kurz vor Fokstugu musste er sich dann wieder um seine Gruppe kümmern und ich lief alleine weiter. Auf Bohlenstegen ging es über ziemlich matschige Wiesen vorbei an vielen kleinen Mini-Birken und hohen Büschen. Plötzlich spuckte der Weg mich direkt gegenüber der Herberge Fokstugu aus - dazwischen lag "nur" die E6. Ich spurtete über die Straße und wurde auch schon von der Herbergsbesitzerin begrüßt. Die wartete eigentlich auf die Gruppe hinter mir :-) aber egal, ich hatte einen tollen Empfang. Sie sprach sogar deutsch (und noch einige andere Sprachen) und so erklärte sie mir alles und auch dass sie jetzt zuerst die Gruppe versorgen musste. Ich setzte mich in die Sonne auf eine kleine Bank im Windschatten und genoss derweil die Stille und die schöne Umgebung. Eine klasse Herberge mitten im Nirgendwo. Zwei Häuser waren recht groß, ganz weiß getüncht mit roten Fensterrahmen und super hergerichtet und dazwischen ein niedrigeres dunkles Holzhaus, als Wohnhaus der Herbergsleute Christiane und Laurits. Von der Straße konnte man nur zu Fuß durch das große Eingangstor gehen - die eigentliche Fahrstraße zu den Häusern führte von einer Abzweigung an der E6 weiter vorne versteckt hinter das Anwesen. Kein Auto oder Traktor machte so das "Ambiente" kaputt. Wie mir später erzählt wurde, ist das so auch volle Absicht. Extra für die Pilger, die den Olavsweg gehen. Es werden auch nur Wanderer und Radfahrer beherbergt, keine Gäste mit Autos.
Nachdem die Gruppe versorgt war, kam ich an die Reihe. Fein säuberlich wurde Buch geführt über Nationalität, Herkunft und Etappenlänge und interviewt wurde ich danach auch über meine Erfahrungen und Eindrücke vom Olavsweg. Christiane war hin und weg von der Geschichte über das zufällige Treffen mit Kjell, dem Gefängnispfarrer. Nachdem ich mein Zimmer bezogen und mich geduscht hatte, machte ich mir eine leckere Tomatensuppe und schlürfte die unten in der gemütlichen Stube an einem großen Tisch. Es gesellten sich ein paar Jungs aus der Gruppe dazu, fragten mir Löcher in den Bauch über meine Wanderung und präsentierten mir fast schon stolz unglaublich große Blasen an ihren Füßen. Und das von einem Tag Laufen! Dann kam auch Kjell, scheuchte die Jungs zum Essen-kochen und deckte für alle den Tisch. Christiane musste dann noch unbedingt ein Beweisfoto von uns beiden machen und danach war für mich auch schon Bettzeit. Eigentlich war es "Pilger-Pflicht" bei der Abendmesse in der kleinen niedlichen Kapelle mitzumachen, aber die sagte ich ab und versprach am nächsten Morgen zu kommen. War hundemüde und wollt nur noch in dem schön weichen Bett (mit Bettzeug!) schlafen.
Wenn mich jemand fragt, warum ich jede freie Minute und Urlaube meinen Rucksack packe und alleine losziehe - keine Ahnung, ich kann's ehrlich nicht erklären, warum ich das mache. Nur eins kann ich mit Gewissheit sagen: es macht definitiv süchtig!
Allein unterwegs zu sein - jeden Tag wo anders zu sein - nicht zu wissen, wo man am Ende des Tages landet - die Natur zu genießen - all das sind so die typischen Antworten, die man dann auf solche Fragen gibt.
Goethe beschreibt es meiner Meinung nach ziemlich gut und bringt es mit einem einfachen Satz auf den Punkt: "Nur wo du zu Fuß warst, warst du wirklich!"
Noch so Wandersüchtige: www.wanderbursche.net / www.soultrails.de / darwinonthetrail.com
Und hier, einfach nur toll: www.illpushyou.com