Der Tag fing sehr früh an: um kurz nach 6.00 Uhr stand ich schon abreisefertig vor der Hütte und verrammelte die Eingangstür, so wie ich sie vorgefunden hatte. Besuchte nochmal zum Ärgernis des darin nistenden Vogels das stille Örtchen hinter der Hütte und marschierte in Richtung Oppdal das lange Tal runter. Es sollte mein bisher längster Lauftag werden, mit dem längsten Ziehweg ever…! Der breite Kiesweg verlief gemütlich das Tal hinunter an dem wirklich hübschen Bach entlang. Der Wind blies ganz ordentlich, war aber gar nicht kalt. Als ich um eine Ecke bog schreckte ich einen Adler auf, der neben dem Weg irgendwas geatzt hatte und wirklich sehr dicht über meinem Kopf abstrich. Toll, so nah dran war ich einem wildlebenden Adler noch nie gewesen. Natürlich war das Vieh viel weiter oben, als ich endlich den Fotoapparat rausgefummelt hatte.
Dieser Ziehweg hatte seinen Namen wirklich zurecht, der zog sich vielleicht lange. Irgendwann nach der x-ten Kehre konnte ich doch tatsächlich aus dem Tal raus in Richtung Oppdal schauen, zumindest glaubte ich den bekannten Skiort an der gegenüberliegenden Hügelkette zu erahnen. Kurz vor zehn Uhr erreichte ich eine kleine Kapelle. Eigentlich war diese eingezäunt worden, um die ganzen Schafe abzuhalten die Einrichtung kaputt zu machen. Allerdings schien das der anwesende Schafherde nicht wirklich gefallen zu haben: der Zaun war runtergedrückt und es lagen gut 10 Schafe in dem kleinen Raum und zwei Lämmchen tobten um den Altar. Alleine war es für mich unmöglich die Viehcher da komplett aus der Umzäunung raus zu bekommen. Zumindest schaffte ich es, sie aus dem Raum zu scheuchen und die Türe zu schließen. Jetzt konnten Sie nur noch im Vorraum rumliegen oder außen die angelegten Blumenbeete abfressen.
Eine kurze Pause legt ich hier an der Kapelle noch ein und machte mich ein paar Minuten später wieder weiter auf den Weg ins Tal. Es dauerte auch nicht lange und ich war unten angekommen und der Kiesweg wurde zu einer Asphaltstraße und führte an kleinen Höfen vorbei, manchmal auch genau durch solche Höfe und über Wiesen und Felder. Der Himmel zog sich so langsam mit Schleierwolken zu, der Wetterwechsel kündigte sich an. An einer kleinen Hütte mit toller Pausebank (und niedlichem Plumpsklo-Häuschen) machte ich eine etwas längere Pause. Dort mähte ein älterer Herr gerade die Wiese rund um die Hütte. Er fragte mich, wo ich übernachtet hatte und war erstaunt darüber, dass ich aus Ryphusan kam. Aber ich war ja auch schon so früh gestartet, da waren die knappen 25 Kilometer kein Thema bergrunter bis mittags. Irgendwie kamen wir ins Ratschen und er fragte noch, ob ich bei meinem Tempo wenigstens kurz in der kleinen Kapelle war. Ich erzählte ihm meine nicht ganz so erfolgreiche Schaf-Verscheuch-Aktion und er wurde hektisch und wollte los, um dort wieder alles herzurichten. Ich sagte ihm, dass er alleine da keine Chance hätte bei den vielen Schafen würde er abends noch um die Kapelle rennen. Er wollte es trotzdem versuchen. Kurz um bot ich ihm an zu helfen und schwubs saß ich in seinem Pickup und fuhr mit ihm die paar Kilometer zurück zur Kapelle. Ole hieß er, war ehrenamtlich für das Stückchen Olavsweg bis Oppdal seit seiner Rente verantwortlich und pflegte und hegte vor allem "seine" niedliche Kapelle. Aus diesem Grund fuhr er wohl auch so schnell. In einem Affenzahn raste er den Kiesweg rauf, nach der ganzen Lauferei war ich die Geschwindigkeit nicht mehr gewohnt und mir war richtig schlecht! Zu zweit klappte das mit den Schafen erstaunlicherweise echt gut, wir machten den Zaun an der runtergedrückten Stelle ganz flach und trieben den ersten Schwung Schafe schnell raus. Der zweite Schwung dauerte schon länger und ein Schaf mit Lämmchen zierte sich richtig, aber auch die beiden hüpften dann irgendwann über den platten Zaun auf die Wiese und wir stellen den Zaun wieder gerade hin.
Ole bedankte sich mehr als überschwänglich, war mir fast schon peinlich. Er bot mir an mich nach Oppdal mitzunehmen. Und da ich nach dem Ort noch ein gutes Stückchen zu laufen hatte, nahm ich sein Angebot auch an. Ich hoffte nur inständig, dass er jetzt langsamer fahren würde - was er gottseidank auch tat. Gemütlich fuhr er wieder bis zu der kleinen Hütte, verlud noch den Rasenmäher auf einen kleinen Anhänger, und fuhr mit mir dann quatschend und die Gegend-zeigend bis nach Oppdal. Am Ortseingang ließ er mich an einem großen Supermarkt raus und bedankte sich noch zig Mal und fuhr weiter. Irgendwie witzige Begegnung. Im Markt kaufte ich ein bisschen Obst und füllte meinen Nussvorrat wieder auf. -Memo an alle Nussliebhaber: nehmt genug von daheim mit, das Zeug ist in Norwegen unverschämt teuer- Danach marschierte ich durch den Ort, nutzte nochmal einen Bankautomaten, lies die Besichtigung der Kirche aus und folgte einer breiten Schotterpiste, dem Gamle Kongeveg, raus aus dem Ort. Ort war das eigentlich gar keiner, sondern mehr eine Stadt. Am Hügel hinter der Kirche konnte man die Skianlagen sehen. Im Winter war das vielleicht ein toller Ski-Hotspot, jetzt im Sommer eher die Kategorie "naja".
Aus der selben Kategorie war auch der Weg raus aus und nach Oppdal. Nur Schotterpiste. Zwar durch hübsche Landschaft, aber dank der mittlerweile steifen Brise von vorne und den letzten trockenen und sonnigen Tagen sowas von staubig, dass das Laufen mal so überhaupt keinen Spaß machte. Und die relativ oft vorbeifahrenden Autos gestalteten das Ganze dann meist kurzzeitig noch schlimmer. Ich versuchte einen Zahn zuzulegen, was auf Grund der mittlerweile zurückgelegten Strecke nicht so ganz gelang. Eine gefühlte Ewigkeit dauerten die restlichen Kilometer. Jede kleinere Biegung wurde innerlich gefeiert und auch jede kleinste Schutzhütte wurde zum Pausemachen genutzt. Kurz nach sechs Uhr stand ich dann endlich vor dem lang ersehnten Schild Haeverstolen. Diese Unterkunft hatte ich mir in den Kopf gesetzt, weil die Fotos davon einfach zu schön waren. Und es war die Anstrengung allemal wert - außen toll und nachdem ich mir den Schlüsselcode telefonisch erfragt hatte (die Besitzer waren nicht da) konnte ich den schicken Innenraum ebenfalls in Augenschein nehmen. Hatte was ganz Spezielles und da ich alleine war, konnte ich mich darin so richtig ausbreiten. Das ganze Anwesen sah klasse aus, alle Häuser wohl sehr alt, aber super hergerichtet. Die Dusche tat mal so richtig gut und ich brauchte auch recht lange, bis ich mich von dem schööön heißen Wasser trennen konnte :-) trocken und sauber setzte ich mich vor die Hütte in einen gemütlichen Gartenstuhl und mümmelte die Reste meiner Rentierhartwurst und des Schüttelbrotes auf. Auch in der Hütte gab es eine Vorratsecke, in der ich zu meiner Begeisterung auch eine ganze Packung heiße Schokolade fand. Die wurde dann gleich mal zubereitet. Danach ging es mir wieder richtig gut - was so ein bisschen Zucker alles ausmacht.
Etwas später schaute der Besitzer kurz vorbei, nahm das Geld für die Übernachtung und die Trink-Schokolade in Empfang und war auch schon wieder weg. Den ganzen Abend lümmelte ich dick eingepackt auf dieser Gartenliege und genoss eine heiße Schokolade nach der anderen. Die Wolken wurden zunehmend dicker und dunkler. Und irgendwann zog ich nach drinnen um, wurde dann doch frisch und ungemütlich. Es dauerte nicht lange und ich war nach dem obligatorischen Tagebucheintrag und etwas Hörbuch-Hören eingeschlafen.
Wenn mich jemand fragt, warum ich jede freie Minute und Urlaube meinen Rucksack packe und alleine losziehe - keine Ahnung, ich kann's ehrlich nicht erklären, warum ich das mache. Nur eins kann ich mit Gewissheit sagen: es macht definitiv süchtig!
Allein unterwegs zu sein - jeden Tag wo anders zu sein - nicht zu wissen, wo man am Ende des Tages landet - die Natur zu genießen - all das sind so die typischen Antworten, die man dann auf solche Fragen gibt.
Goethe beschreibt es meiner Meinung nach ziemlich gut und bringt es mit einem einfachen Satz auf den Punkt: "Nur wo du zu Fuß warst, warst du wirklich!"
Noch so Wandersüchtige: www.wanderbursche.net / www.soultrails.de / darwinonthetrail.com
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