Der nächste Morgen war ein schön sonniger. Nach einem kurzen Keks-Frühstück packte ich gut gelaunt mein Zeug zusammen und lief los, den Berg wieder runter zur Straße auf nach Kvam. Zu dem Zeitpunkt hoffte ich noch, dass mit viel Glück in Kvam für ein Frühstück ein kleines Cafe oder ein Dorfladen offen wäre. Was ich nicht bedacht hatte, dass ja Sonntag war. Das merkte ich dann nach den knappen 3 Kilometern Fußmarsch, als ich in dem total menschenleeren und ruhigen Kaff Kvam stand. Als ich an der Kirche vorbeilief, hörte ich bekannte Stimmen. Es waren die vier Pilger Peter, Jeanne, Dan und Jean, die vor der Kirche standen und sich lautstark über ein fehlendes Cafe und die geschlossene Kirche aufregten. Was ein Zufall. Ab da gingen wir gemeinsam weiter. Der Plan war bis zu einem Campingplatz zusammen zu laufen, die vier wollten sich dort dann abholen lassen, sie hatten sich nämlich in Otta eine Unterkunft mitten in der Stadt gebucht und wollten nicht so viele Kilometer laufen.
Die vier legten echt ein ordentliches Tempo vor - hatte anfangs auf gerader Strecke wirklich Mühe mitzuhalten. Doch der Weg bremste sie recht schnell aus: es wurde hügeliger, schmaler und vor allem steiniger. Mitten im Wald machten wir auf moosigen Steinen eine erste lange Pause. Dan fing wieder an zu filmen und Peter kraxelte in den Felsen rum :-) eine herrliche Truppe. Weiter ging es über viele felsige Kraxelpassagen, ich fand's toll. Peter und Jeanne auch, nur bei den anderen beiden ging die Laune in den Keller. Jeanne, Peter und ich liefen ratschend vorne weg, die anderen beiden blieben meist weiter zurück. Der Weg war herrlich, es ging durch moosbewachsenen Kiefernwald. Die Moose und Flechten hatten die tollsten Farben, die durch die Sonne so richtig strahlten. Und der Duft ist kaum zu beschreiben. Trotz unserem Geratsche konnten wir eine Auerhenne auf knappe 20 Meter entdecken. Einfach toll.
Als wir ein paar Häuschen im Wald erreichten, kam plötzlich aus einer dicken dunklen Wolke ein heftiger Schauer und wir zogen alle hektisch die Regenklamotten an. Kaum waren wir alle in Gummi gepackt, hörte es wieder auf und die Sonne schien vom Himmel. Das Spiel hatten wir dann ein paar Mal. Der Weg ging jetzt als schmaler Pfad meist auf gleicher Höhe am Hang entlang und es wechselte sich Wald und Wiese ab. Die Kraxelpassagen hatten wir hinter uns gelassen und machten ganz gut Strecke. Der Wald spuckte uns um Mittag rum auf einer Anhöhe mit toller Aussicht über das Tal aus - Peter streckte die Nase in den Wind und rief ganz aufgeregt, dass es dort unten Kaffee gäbe und eilte in einem irren Tempo den Hügel runter :-) und tatsächlich war der Campingplatz direkt dort unten am Fluss. Nach einem kurzen Stück entlang der stark befahren Straße standen wir an der Rezeption des Campingplatzes. Die Rucksäcke wurden allesamt vor der Tür auf einen Haufen geworfen und jeder freute sich auf den leckeren Kaffee. Auf der Terrasse mit Blick auf den schönen Fluss das Tal runter zurück in Richtung Kvam machten wir es uns bequem und schlürften glücklich heißen Kaffee.
Die nette Frau an der Rezeption orderte nach etwa einer halben Stunde ein Taxi für die vier und weitere fünfzehn Minuten später stand ein Großraumtaxi auf der Einfahrt zum Campingplatz. Es dauerte eine Weile, bis wir uns verabschiedete hatten und das Taxi davon fuhr. War eine nette Begleitung gewesen. Auch ich machte mich in Richtung Otta auf. Leicht oberhalb der E6 führte der Weg über Wiesen und Felder, vorbei an kleinen Ortschaften das Tal aufwärts. Heute tat mir mal so gar nichts weh, das Laufen machte richtig Spaß und es ging echt flott voran. Da ich nicht einkaufen musste, ließ ich die Stadt Otta regelrecht links liegen. Ein weiterer Campingplatz wurde kurz nach Otta zu meinem Pausenziel. Eigentlich hatte ich geplant bis hier hin zu laufen und zu campen, aber da das Wetter so toll mitspielte und meine Haxen auch, trank ich nur eine Cola und lief weiter. Die nächste von meinem gelben Buch empfohlene Übernachtungsmöglichkeit sollte meine für heute werden: Jorundgard, eine zur Herberge umgebaute Filmkulisse. Es waren noch etwa 15 Kilometer bis dorthin und das laut Höhenprofil brettelseben - machbar dachte ich mir und los ging's. Über eine sehenswerte Brücke auf die andere Flussseite. Dort verlief der Weg jetzt immer direkt am Fluss entlang - recht eben auf einem breiten Kiesweg. Die Kilometer flogen so dahin, rechts neben mir rauschte leise der Fluss und ab und an kamen mir Radler, Jogger oder Angler entgegen. Es überholte mich ein uralter Traktor im Schneckentempo mit einem nett winkendem älteren Bauern drauf - er erklärte mir mit Händen und Füßen ich solle ein Stückchen mitfahren. Gesagt getan hüpfte ich auf die kleine Fläche über der Deichsel und hörte den für mich völlig unverständlichem Kauderwelsch des Bauern zu. Nach etwa gut zwei Kilometer bog er auf seinen Hof ab, ich bedankte mich, sprang vom Traktor und lief weiter den Weg entlang. Irgendwie ein toller Tag heute. Das Wetter war auch (noch) herrlich, es wechselten sich dicke weiße Wolken und blauer Himmel ab.
Nach knapp der Hälfte der restlichen Strecke änderten die Wolken ihre Farbe, sie wurden zunehmend dunkler und vor allem auch mehr. Bei uns daheim hieß das Gewitter und mit einer gewissen Vorahnung legt ich einen Zahn zu, um rechtzeitig bei der Unterkunft anzukommen. Auf den letzten zwei Kilometern erwischte mich dann leider doch ein mehr als dicker Gewitter-Platzregen - nun nahm ich die Beine in die Hand und rannte bis Jorundgard. Zusammen mit einem französischen Pärchen stand ich triefend in einem der Holzbauten unter einem kleinen Vordach und fragte mich, wo es denn nun eine Art Rezeption oder so etwas gab. Kurzerhand telefonierte ich mit dem Herbergsbesitzer. Der war schon weggefahren und würde am nächsten Tag erst wiederkommen. Er beschrieb mir, wo der Schlafraum und vor allem wo das Geld für die Übernachtung zu deponieren war. Nachdem der dickste Regen vorbei war, machten wir drei uns auf die Suche nach dem richtigen Holzhaus. Wir wurden schneller als gedacht fündig und die beiden bezogen den hinteren Raum und ich machte mich in dem vorderen breit. Dusche gab es hier keine, nur ein kleines Plumpsklo mit Wasserhahn außen dran. Und eine Mini-Küche, also eigentlich ein Raum mit einem Tisch mit Wasserkocher und einer Heizplatte drauf. Dort steckte ich meine Elektrosachen an und machte es mir in dem kleinen Kabuff bei heißem Kaffee stehend gemütlich bis alles geladen war. Jetzt merkte ich mein Pensum vom Tag dann doch ordentlich, nahm deshalb gleich zwei Magnesiumtüten (viel hilft vielleicht viel), eierte etwas ungelenkt zurück zum Schlafraum, mümmelte noch ein bisschen Schüttelbrot und legte mich dann in den a...kalten und düsteren Raum zum Schlafen.
Wenn mich jemand fragt, warum ich jede freie Minute und Urlaube meinen Rucksack packe und alleine losziehe - keine Ahnung, ich kann's ehrlich nicht erklären, warum ich das mache. Nur eins kann ich mit Gewissheit sagen: es macht definitiv süchtig!
Allein unterwegs zu sein - jeden Tag wo anders zu sein - nicht zu wissen, wo man am Ende des Tages landet - die Natur zu genießen - all das sind so die typischen Antworten, die man dann auf solche Fragen gibt.
Goethe beschreibt es meiner Meinung nach ziemlich gut und bringt es mit einem einfachen Satz auf den Punkt: "Nur wo du zu Fuß warst, warst du wirklich!"
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