Jetzt würde ich an der Stelle gerne schreiben "die Nacht war prima" - war sie aber nicht. Das Bett war so unbequem, dass ich mitten in der Nacht meine Isomatte aus dem Rucksack holte, aufpumpte und die dann auf die Matratze legte. Die zusätzliche Decke holte ich gleich mit raus, es zog wie Hechtsuppe und zudem kam mein Moskitonetz zum Zuge...eine ganze Großfamilie an Mücken hatte sich schon an mir satt gefressen und ich wollte der restlichen Verwandtschaft nicht auch noch als Mahlzeit dienen. Dementsprechend gerädert schälte ich mich morgens aus meinem Schlafsack, packte mit Stirnlampe (der Raum war stock duster) meine Klamotten zusammen, stopfte die 200 NOK in den dafür vorgesehenen Behälter und tigerte in Richtung "Küche". Meine Nachbarn waren noch nicht wach und sonst war auch keine Menschenseele auf dem Gelände unterwegs. Nach einem heißen Steh-Kaffee und ein paar Schokokeksen war ich wieder einigermaßen hergestellt. Ich nutzte die Zeit in der kleinen Küche mit Aufladen und schickte Jeanne und Peter als kleine Vorwarnung ein paar Bilder der Unterkunft. Die wollten heute von Otta her laufen und ebenfalls hier übernachten. Sollten sie sich evtl. nochmal überlegen und sich einen Alternativplan zurecht legen.
Das Wetter war so lala, die Wolken hingen noch tief als ich in Richtung Vollheim losmarschierte. Im direkt neben der Filmkulisse gelegenen Dörfchen war auch noch alles ruhig und so tapperte ich an der geschlossenen Kirche vorbei durch leere Straßen immer den Wegweisern hinterher. Der Weg folgte im Prinzip dem Flusslauf, nur dass der jetzt immer wilder wurde und das Gelände um einiges hügeliger als am Tag zuvor. Durch viel Wald ging es im Zick Zack hoch und runter. Hoch über dem rauschenden Fluss wurde der Weg mehr zum Trampelpfad. An zwei Stellen dieses Teilstückes werd ich mich glaub ich immer erinnern können und jeder, der den Weg schon gelaufen ist und das hier liest, weiß wovon ich rede :-) zum einen eine kleine Holzleiter, die als Steighilfe über einen runden Fels dienen sollte. Dumm nur, dass die etwas kurzgeraten war und auf Zweidrittel des kleinen Felsens aufhörte. Und an der zweiten Stelle geht der Weg leicht stufig über Wurzeln hoch und führt genau zwischen zwei dünneren Stämmen durch. Da man sich dort aber so auf den Boden konzentriert, um nicht zu stolpern, merkt man erst wenn man feststeckt, dass der Durchlass für jemanden mit Rucksack zu schmal ist. Muss selbst jetzt beim Schreiben noch über meine Bemühungen da wieder raus zu kommen lachen. Gut, dass da keiner da war, der meine Flüche hätte hören können.
Danach führte der Weg die Hügel hoch und runter, stundenlang ging es durch moosig-grünen Kiefern- und Fichtenwald. Mein Beine und Füße wollte an dem Tag nicht wirklich Laufen - mir taten meine Fußsohlen schon nach den ersten Stunden weh. Aber egal...weiter ging es bis zum Campingplatz in Vollheim. Hatte eigentlich gehofft dort eine Cola oder ähnliches zu ergattern, aber da keiner da war an der Rezeption, fiel das aus. Der letzte Apfel und ein heißer Kaffee taten es auch. Auf einer der Bänke auf der Campingwiese breitet ich mich aus und legte eine lange Pause ein. Der Wind pfiff zwar recht ordentlich, aber dafür fegte der die dicken Wolken weg und ab und an war sogar blauer Himmel zu erkennen. Nachdem ich eine knappe halbe Stunde auf der Bank gelegen und in die Wolken geschaut hatte, raffte ich mich wieder auf. Ich wollte bis "Engelshus" kommen, eine kleine aber feine Herberge mit einer laut meines Buches tollen Köchin heimischer Spezialitäten (und das zu einigermaßen humanen Preisen). Nach Vollheim Camping verlief der Weg komplett auf einer eigentlich überhaupt nicht befahrenen Straße. Rechts und links mähten die Bauern an den Hängen die Wiesen und es roch herrlich nach frischem Gras. Stetig bergauf schlängelte sich die Straße das Tal entlang. Zum "die-Gegend-anschauen" klasse, für die Füße nicht gerade der Brüller. Der Teer gab meinen eh schon schmerzenden Sohlen den Rest. Ein paar Mal machte ich kurze Sitzpausen auf Leitplanken neben der Straße...soweit war's schon mit dem Aua. Nach gefühlt uuuunendlich vielen Asphaltkilometern stand ich dann irgendwann erleichtert an der Abzweigung nach Engelshus. Die Besitzerin war eine nette, ältere Frau, die mir einen Tee anbot und kaum dass ich da auf der Veranda saß, erstmal erzählte, was es dann gleich zu essen gab: Rentierbraten mit Spinat, Pilzen und Kartoffeln und zum Nachtisch Beerenkompott. Da war kein Nein mehr drin, egal was es kosten würde :-) es waren aber nur 170 NOK, die sie dafür haben wollte - das war gegenüber der Übernachtung in der "günstigen" Variante im Mehrbettzimmer für 400 NOK ja ein Schnäppchen. Ich teilte mir das Zimmer mit zwei deutschen Mädels und einer Holländerin. Die drei hatten sich auch hier erst getroffen und warteten schon ungeduldig auf's Essen. Ich beeilte mich mit der heißen Dusche, um auch ja rechtzeitig fertig zu werden. Kaum war ich wieder retour, wurden wir zum Essen gerufen. Es war sehr lecker und vor allem auch mehr als reichlich. Wir vier Mädels saßen dann noch eine Weile völlig vollgefuttert am Tisch und ratschten noch eine ganze Zeit lang über alles mögliche. So gegen acht Uhr verabschiedete ich mich und eierte auf schmerzenden Beinen ins Zimmer. Ein bisschen was von der stinkenden Pferdesalbe schmierte ich mir noch auf die Waden und die Fußsohlen, nahm eine doppelte Portion Magnesium und haute mich auf's Ohr. War auch wohl gleich eingeschlafen, denn die drei Mädels bekam ich schon nicht mehr mit.
Wenn mich jemand fragt, warum ich jede freie Minute und Urlaube meinen Rucksack packe und alleine losziehe - keine Ahnung, ich kann's ehrlich nicht erklären, warum ich das mache. Nur eins kann ich mit Gewissheit sagen: es macht definitiv süchtig!
Allein unterwegs zu sein - jeden Tag wo anders zu sein - nicht zu wissen, wo man am Ende des Tages landet - die Natur zu genießen - all das sind so die typischen Antworten, die man dann auf solche Fragen gibt.
Goethe beschreibt es meiner Meinung nach ziemlich gut und bringt es mit einem einfachen Satz auf den Punkt: "Nur wo du zu Fuß warst, warst du wirklich!"
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